In den Arbeiten von Edvardas Racevičius kommen Renaissance und Barock aus dem Wald. Wie auch der größte Teil der litauischen Kultur. Die Beziehung zwischen Mensch und Baum ist in der litauischen Kultur archetypisch. Der Wald ist der Raum für sakrale Erlebnisse, der Baum ist die vertikale Achse der Welt. In dem alten Glauben der baltischen Stämme inkarnierten sich die Seelen in Bäumen, es sind auch Bestattungen in Bäumen bekannt. Die alten Prussen wunderten sich, warum aus den Bäumen kein Blut fliesst, als sie von den ankommenden Christen gefällt wurden. E. Racevičius findet diese Seelen in den Bäumen, sie sind erstaunt, in das Tageslicht hineingezogen. Als ob sie gar nicht hier sein sollten. Als würden sie ertappt werden. Die Authentizität dieser alten, groben Figuren ist nicht geringer als die der Originale, auf die sie sich beziehen und in ihrer Interpretation erscheinen sie noch archaischer als diese.
Edvardas Racevičius, der 1974 in Klaipėda (Litauen) geboren wurde, hat lange Zeit die traditionelle Ikone des katholischen Litauens geschnitzt – den trauernden Christus (lit: rūpintojėlis). Jetzt findet er im Holz das Echo der westlichen Kultur und versucht, den Betrachter auf seine eigene Art davon zu überzeugen, dass die Wurzeln der europäischen Kultur und ihre Vitalität aus der Erde kommen. Der Sockel ist direkt mit der Figur verwachsen, der Mensch ist mit dem Baum verbunden und der Baum mit der Erde. Die Massivität des Stammes ist beinahe erschreckend, sie verdeutlicht die Proportionen von Natur und Mensch und das Hineinwachsen des Menschen in seine Umwelt. Der moderne Litauer kann mit dem Ipod in den Ohren umhergehen, die Beine sind aber immernoch hölzerne Klötze. Diese Arbeiten sind die Zeugnisse der Mentalität eines Volkes, das lange Zeit die Erde bearbeitet und die Natur wie ein Buch gelesen hat.